Ankern - aber richtig
In vielen Segelrevieren, insbesondere in Teilen des Mittelmeeres, auf den Kapverden oder in der Karibik, ist ein Segeltörn ohne Ankern kaum denkbar. Entweder weil es kaum Marinas gibt, oder weil es einfach wunderschön ist, sich am Abend eine ruhige, einsame Ankerbucht zu suchen, dort zu schwimmen, die Nacht zu verbringen, morgens direkt wieder ins glasklare Wasser zu springen und umgeben von der Natur zu frühstücken.
Diese Seite hätte genauso gut auch in einer Kategorie "Seemannschaft" stehen können. Da wir die aber (noch) nicht haben und man beim Thema "Ankern" ohnehin die Ausrüstung und die Durchführung gemeinsam betrachten muss, behandle ich es hier.
Das Ankergeschirr besteht im Wesentlichen aus 3 Teilen, nämlich
- dem Anker selbst
- der Kette und/oder Trosse
- und der Ankerwinsch
Der Anker
Lange schon wurde der Admiralitäts- oder Stockanker, den man aus Filmen von alten Segelschiffen kennt, durch modernere und leichter zu handhabende Bauformen ersetzt.
Genau so zahlreich wie die Anker-Bauformen sind die Diskussionen über die Vor- und Nachteile derselben. Meine Meinung: "Den" besten Anker gibt es nicht. Ich persönlich bevorzuge als beste Kombination aus Handhabbarkeit, Robustheit, Haltevermögen und Preis den Delta-Anker. Es gibt ihn als Original von Lewmar und in zahlreichen Kopien. Ich habe sehr gute Erfahrungen mit ihm gemacht, einzig auf Seegras schwächelt er - da ist ihm der Danforth oder besser noch ein Draggen überlegen.
Wichtig ist die Größe bzw. das Gewicht des Ankers, das zur Yacht passen muss. Hier gilt der Grundsatz "viel hilft viel" - aber es muss auch noch handhabbar sein. Sinnvoll für eine Yacht unserer Größe ist ein Anker von 25 kg.
Kette und Trosse
Die ideale Verbindung Boot <-> Anker stellt eine Kombination aus Kette und Trosse dar. Warum das so ist und was es da alles zu beachten gibt, darauf werde ich weiter unten noch ausführlich eingehen. Für ein Boot von 54' Länge sollte es eine 10mm-Kette sein. Diese hat eine Bruchlast von 5.000 daN.
Die Bruchlast der Trosse sollte mindestens ebenso hoch, besser höher sein, so landet man hier bei einem Durchmesser von 16, besser 18 mm.
was war noch gleich ein daN?
Zum täglichen Gebrauch, damit man sich etwas darunter vorstellen kann und völlig unwissenschaftlich: 1daN entspricht ungefähr einem kg.
Die korrekte Definition:
- 1 daN (deka-Newton) = 10 N (Newton)
- 1 N = 1 kg*m/s2
Das Newton ist die Einheit der Kraft. Eine Masse von einem kg übt bei der an der Erdoberfläche herrschenden Erdbeschleunigung von 9,81 m/s2 eine Gewichtskraft von 1kg * 9,81m/s2 = 9,81N aus. Also ungefähr 1daN.
Verbindung Kette-Trosse
Hier gibt es prinzipiell 2 Möglichkeiten.
- Kettenspleiß (Die Trosse wird direkt mit der Kette verspleißt)
- Kausch und Schäkel (In die Trosse wird eine Kausch eingespleißt und an die Kette angeschäkelt)
Die erste Methode hat den Vorteil, dass das ganze kaum dicker ist als die Kette / Trosse und problemlos auch durch die Ankerwinsch läuft. Allerdings kann die Trosse an der Übergangsstelle durch scheuern beschädigt werden, daher ist eine regelmäßige, sorgfältige Kontrolle notwendig, wenn man sich nicht eine "Sollbruchstelle" einhandeln will. Wenn dabei auch nur die leisesten Zweifel auftreten: Trosse abschneiden und neu einspleißen!
Verzinkt oder Edelstahl? Das ist hier die Frage...
Wer auf einem Segeltörn in diversen Marinas über den Steg geschlendert ist, hat sicher auch schon mal auf besonders schicken Yachten das Ankergeschirr aus Edelstahl bewundert, das in der Sonne blitzt! Zweifellos ein Eyecatcher, aber auch sinnvoll?
Ketten aus Edelstahl haben den Vorteil, dass sie besser gleiten und sich dadurch insbesondere beim Ankerlichten nicht zu den bekannten "Türmchen" aufhäufen und irgendwann von unten die Winsch blockieren.
Besonders in warmem Seewasser (Karibik) neigen aber Edelstähle der Qualitäten, in denen Anker und Ketten im normalen Yachthandel meist angeboten werden (1.4401), leider zu Lochfraß und interkristalliner Korrosion. Derartige Schäden werden oft nicht bemerkt und führen dann zum Versagen ohne Vorwarnung. Eine Kette aus Duplexstahl (1.4462) schafft hier Abhilfe, ist aber nochmals erheblich teurer.
Einer verzinkten Kette hingegen sieht man es an, wenn die Verzinkung aufgebraucht ist und sie zu rosten beginnt. Man kann sie dann rechtzeitig nachverzinken lassen oder ersetzen.
Die Ankerwinsch
An die Ankerwinsch sind 3 Hauptanforderungen zu stellen:
- Sie muss der Bootsgröße angemessen sein - das ergibt sich in der Regel schon durch die Kettengröße
- Das Fundament, also die Befestigung am Boot, muss robust genug sein, um die auftretenden Kräfte aufnehmen zu können
- Sie sollte über eine lösbare Bremse verfügen, sodass man den Anker nicht nur elektrisch wegfieren sondern auch einfach durch lösen der Bremse ausrauschen lassen kann.
Dichtung und Wahrheit - von Kettenlängen, Dämpfung und Zugwinkeln
"3-fache Wassertiefe Kette, 5-fache Wassertiefe Trosse"
"Das Boot wird durch die auf dem Grund liegende Kette gehalten, nicht durch den Anker"
"Die durchhängende Kette dient zur Ruckdämpfung"
"Die Kette hält den Anker am Boden"
Solche und ähnliche Aussagen halten sich leider hartnäckig in der Fachliteratur und auch am Segler-Stammtisch hört man sie allenthalben. Leider haben sie mit der Realität wenig zu tun und führen dazu, dass es immer wieder zu ausbrechenden Ankern kommt - oft mit üblen Folgen für das Boot (und leider manchmal auch für die Besatzung).
Dichtung | Wahrheit |
"3-fache Wassertiefe Kette, 5-fache Wassertiefe Trosse" |
Ein moderner Anker, wie z.B. der Delta-Anker, kann einen Zugwinkel der Kette von ca. 10°, bezogen auf den Meeresboden, vertragen. Wird der Zugwinkel steiler, bricht der Anker früher oder später aus. Bei starkem Wind, evtl. gepaart mit Strom, kommt die Kette irgendwann komplett steif und ist dann praktisch gerade. 1/sin(10°) sind aber 5,75. Bei straffer Kette oder Trosse muss also mindestens die 5,75-fache Wassertiefe gesteckt werden, um die 10° einzuhalten. Dabei ist auf die Wassertiefe noch die Höhe des Bugbeschlags über der Wasseroberfläche hinzuzuaddieren. Wenn das Echolot also 10m anzeigt und die Yacht 1,5m Freibord hat, müssen wir (10+1,5)*5,75m = 66m Kette stecken, um auch bei Starkwind und Strom noch ruhig schlafen zu können. |
"Das Boot wird durch die auf dem Grund liegende Kette gehalten, nicht durch den Anker" |
Diese Aussage ist richtig. In einer windstillen Ankerbucht ohne Strömung. Wenn die Ankerkette ohnehin praktisch auf und nieder steht. Und bei Wind und Strom? Auch hier mag eine einfache Berechnung verdeutlichen, wie die Realität aussieht: Wie wir aus dem Physikunterricht wissen, ist FR=FN*µ (Reibkraft = Normalkraft * Reibungsbeiwert). 50m 10mm-Kette haben eine Masse von ca. 115 kg. Mit der Erdbeschleunigung von 9,81 m/s2 und unter Berücksichtigung der Tatsache, dass Stahl im Wasser auch einen Auftrieb erfährt, ergibt sich eine Gewichtskraft von knapp 100 daN. Selbst wenn wir einen Reibungsbeiwert von 1 annehmen (in der Realität dürfte dieser viel niedriger sein), hätten wir eine "Haltekraft" von 100 daN - und das auch nur, wenn die 50m Kette tatsächlich komplett auf dem Boden liegen. Warum fahren wir doch gleich eine Kette mit einer Bruchkraft von 5.000 daN spazieren? |
"Die durchhängende Kette dient zur Ruckdämpfung" |
Wer jemals bei 6 bft oder mehr und / oder ordentlich Strom geankert hat, weiß, dass unter solchen Bedingungen auch 50m Kette stramm sind wie eine Gitarrensaite. Wer nicht, kann das gerne mit den Formeln zur Kettenlinie nachrechnen. Die Kette kann aber nur dann ruckdämpfend wirken, wenn sie deutlich durchhängt, mithin wenn dies gar nicht nötig ist - nämlich dann, wenn kaum Last auf der Kette steht. Und selbst dann ist ihre Fähigkeit, Energie zu absorbieren, eher bescheiden. Hierzu ein wenig Physik / Mathematik. Eine Kette kann maximal so viel Energie aufnehmen, wie nötig ist, um die am Boden liegende Kette auf die halbe Wassertiefe anzuheben. Beispiel: Wir haben auf 8 m Wassertiefe geankert und 50 m Kette gesteckt. Die Kette steht am Boot auf und nieder, es liegen also 42m Kette auf dem Boden. 42 m 10mm-Kette haben eine Masse von 96 kg, davon bleiben durch den Auftrieb im Wasser etwa noch 84,5 kg übrig. Damit kann die Kette max. 84,5 kg x 9,81 m/s2 x 4 m = 3.315 J an Energie aufnehmen. Mehr geht nicht. Eine gute Ankertrosse von 16mm Durchmesser hat bei einer Bruchlast von 5.000 daN eine Arbeitslast von 1.250 daN und eine Arbeitsdehnung von 20%. 20m dieser Trosse können also bis zum Erreichen der Arbeitslast eine Energiemenge von 20m x 0,2 / 2 x 1.250 daN = 25.000 J aufnehmen - also ca. das 7,5-fache der Kette! |
"Die Kette hält mit ihrem Gewicht den Anker am Boden" |
Auch diese Aussage lässt sich entweder mit Berechnungen zur Kettenlinie widerlegen oder durch die Erfahrung. Wer es nicht glaubt, der möge sich auf dem nächsten Törn mal beim Einfahren des Ankers mit 2.000 min-1 (und das sollte bei jedem Ankermanöver gemacht werden) Taucherbrille und Flossen schnappen und schwimmend (mit ausreichend Abstand zum Boot) die bereits bei dieser Belastung praktisch völlig gerade Kette im Wasser bestaunen. |
Fazit:
- Wir stecken mindestens die 5-fache, besser die 6-fache Wassertiefe an Kettenlänge. Dabei rechnen wir die Wassertiefe vom Meeresboden bis zum Bugbeschlag.
- Zur Ruckdämpfung brauchen wir außer bei ruhigen Bedingungen zusätzlich zur Kette Trosse. 20m Trosse nehmen mehr als das 5-fache an Energie einer 50m-Kette auf.
- Die Kette brauchen wir vor allem, um das Durchscheuern der Trosse auf dem Boden zu verhindern.
Das Ankermanöver
Nach all den theoretischen Überlegungen nun zur Praxis. Ich mache es seit Jahr und Tag wie beschrieben und habe auch unter widrigen Bedingungen noch nie nach Abschluss des Ankermanövers mit einem slippenden oder ausbrechenden Anker zu tun gehabt.
Auswahl des Ankerplatzes
Ein gutes Ankermanöver beginnt mit der Auswahl des Ankerplatzes
- Legerwall vermeiden
- Auf genügend Platz zum Schwojen achten
- Einen Blick in die Seekarte werfen, um Ankerverbote, Unterseekabel etc. auszuschließen und die Wassertiefe und Steilheit des Grundes zu überprüfen
- Wenn möglich den Ankergrund checken. Sand (hell) ist gut, Seegras (dunkel) ist schlecht.
Anker klar
- Ankerwinsch einschalten
- Auf der "Kurs270" müssen wir jetzt den Bugbeschlag mit dem Anker ausklappen
- Evtl. vorhandene Sicherung am Anker (Sicherungsstift, Klemme, Stropp) lösen
- Den Anker mit dem Motor der Winsch bis zur Wasseroberfläche fieren, kurz auch mal den "up"-Knopf drücken um die Winsch zu checken
- Nötiges Werkzeug (Winschkurbel oder Stange) zum Lösen der Bremse bereitlegen
- In vollen Ankerbuchten ist es sinnvoll, Fender auszubringen und ein Besatzungsmitglied mit einem Kugelfender in der Hand so zu positionieren, dass bei einem vermurksten Manöver nicht das Material, sondern nur das Ego des Skippers leidet...
Ankerplatz anfahren
Der Ankerplatz wird langsam(!) gegen den Wind angefahren. Bevor der Anker fällt, sollte das Boot keine Fahrt voraus mehr machen. Unsere heutigen Kurzkieler neigen leider bei viel Wind dazu, sich wegzudrehen, sobald keine Fahrt mehr im Schiff ist. Ohne (kräftiges) Bugstrahlruder gibt es dann kein halten mehr.
Ich fahre daher, wenn die Situation es erlaubt, den Ankerplatz auch gerne im Rückwärtsgang mit dem Wind an. Dann kann ich bei 1-2kn. Fahrt den Anker fallen lassen und das Boot bleibt mit dem Bug im Wind.
Fallen Anker
Das Kommando zum Fallenlassen des Ankers kommt grundsätzlich vom Rudergänger (bzw. vom Skipper, wenn dieser den Job am Ruder delegiert hat).
Bei wenig Wind kann man den Anker bei ganz wenig Fahrt elektrisch wegfieren. Dabei sollte man darauf achten, dass das Boot praktisch unbeweglich am ausgesuchten Platz steht, bis der Anker auf dem Grund liegt.
Bei mehr Wind oder Strom macht das Boot zwangsläufig Fahrt (hoffentlich rückwärts). Dann ist es viel einfacher, den Anker durch lösen der Bremse der Ankerwinsch fallen zu lassen, da das erheblich schneller geht. Das Boot wird dann, wenn genug Kette bzw. Trosse gesteckt ist, gefühlvoll mit der Bremse aufgestoppt.
Dieses Verfahren empfiehlt sich z.B. auch, wenn man, wie in Griechenland üblich, vor Buganker und mit dem Heck an der Pier im Hafen liegt.
Wir erinnern uns: Wir stecken mindestens die 5-fache Wassertiefe - gemessen vom Meeresboden bis zum Bugbeschlag.
Einfahren
Immer wieder beobachtet man in Ankerbuchten Crews, die nach dem Fallenlassen des Ankers den Motor abstellen und zum gemütlichen Teil des Abends übergehen, ohne dass die Kette / Trosse ein einziges Mal auf Zug gekommen ist.
Aber woher wissen die, ob der Anker hält? Sie wissen es nicht!
Wenn wir also meinen, genug Kette oder Trosse gesteckt zu haben, wird der Anker eingefahren. Dazu legen wir den Rückwärtsgang ein und bringen langsam Zug auf die Kette. Die Drehzahl erhöhen wir dabei Schritt für Schritt auf ca. 2.000 min-1. Je nach Boot und Bedingungen darf es auch gerne etwas mehr sein. Auf dieser Drehzahl lassen wir den Hebel so 1-2 min. stehen.
Während des Einfahrens prüft ein Besatzungsmitglied mit einer Hand oder einem Fuß auf der Kette, ob der Anker hält. (Ein slippender Anker macht sich durch deutliches Rucken bemerkbar).
Einen gut sitzenden Anker kann man mit dieser Prozedur nicht herausreißen und ein Anker, der dabei nicht hält, wird auch bei den nächtlichen Fallböen mit 7-8 bft. nicht halten.
Lügt Euch nicht selbst in die Tasche!
Jetzt noch den Ankerball setzen bzw. die Fahrlichter aus- und die Ankerlaterne einschalten und dann...
...Feierabend, Ankerschluck, baden, genießen!
Winsch entlasten
Auf Charterbooten eher selten anzutreffen, auf Eignerbooten und natürlich auch bei uns eine Selbstverständlichkeit: Die Teufelskralle. Sie wird, mit ein paar Metern Trosse versehen, in die Ankerkette eingehakt und auf einer Bugklampe belegt. Dann fiert man die Kette, bis diese deutlich durchhängt.
- Die Winsch (und deren Fundament) wird entlastet
- Die Trosse bewirkt eine (in dieser Länge minimale) Ruckdämpfung
- Es wird wesentlich ruhiger an Bord, da Geräusche von der Ankerkette nicht auf das Boot übertragen werden.
Ankerwache
Die SeeSchStrO schreibt vor, dass (mit Ausnahme von Fahrzeugen unter 12m auf bestimmten bekannt gemachten Wasserflächen) durchgehend Ankerwache gegangen wird. Ich kenne keinen Segler, der das macht und auch ich mache es praktisch nie.
Das Gesetz wurde vermutlich seit Jahrzehnten nicht angepasst - heute gibt es aber Apps, die das erledigen und auch viele moderne Kartenplotter warten mit einer entsprechenden Funktion auf. Dabei wird laufend die GPS-Position überwacht und bei Verlassen eines vordefinierten Bereichs klingelt es laut und vernehmlich.
In Verbindung mit einem anständig eingefahrenen Anker bietet das in fast allen Fällen genug Sicherheit.